BAG: Betriebsratsvorsitzender kann nicht gleichzeitig Datenschutzbeauftragter sein

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 06.06.2023 – 9 AZR 383/19

In einer Zeit, in der die Verarbeitung personenbezogener Daten eine zentrale Rolle in Unternehmen und Organisationen spielt, ist die Rolle des Datenschutzbeauftragten unverzichtbar für die Gewährleistung der Datenschutzstandards und die Einhaltung rechtlicher Vorgaben. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu betrieblichen Datenschutzbeauftragten wirft ein Schlaglicht auf die anspruchsvolle Balance zwischen Datenschutz und anderen betrieblichen Funktionen. Sie verdeutlicht die Bedeutung der Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit dieser Position in der betrieblichen Praxis.

Sachverhalt

Die Beklagte, eine in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft eines Konzerns, hat den Kläger mit Wirkung zum 1. Juni 2015 zum Datenschutzbeauftragten bestellt, ebenso wie ihre Muttergesellschaft und weitere Tochtergesellschaften des Konzerns. Dies geschah mit dem Ziel, einen einheitlichen Datenschutzstandard im Konzern zu etablieren.

Jedoch äußerte der Thüringer Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Bedenken bezüglich der Zuverlässigkeit des Klägers für die Rolle des betrieblichen Datenschutzbeauftragten, insbesondere aufgrund seiner gleichzeitigen Funktion als Vorsitzender des Betriebsrats. Trotz der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, dass beide Funktionen vereinbar seien, stellte der Thüringer Landesbeauftragte fest, dass der Kläger nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit verfüge und somit nicht wirksam zum Datenschutzbeauftragten bestellt wurde. Er mahnte die Muttergesellschaft der Beklagten an, einen anderen Datenschutzbeauftragten zu bestellen, andernfalls drohte eine Geldbuße.

In Reaktion darauf widerriefen die Beklagte und die anderen Konzernunternehmen die Bestellung des Klägers als Datenschutzbeauftragter und bestellten stattdessen eine andere Person. Sie argumentierte diesen Schritt mit der Inkompatibilität mit der Rolle des Betriebsratsvorsitzenden. Der Kläger hingegen argumentierte, dass seine Bestellung wirksam und der Widerruf nicht rechtens sei.

Das Arbeitsgericht gab der Klage des Klägers statt, was vom Landesarbeitsgericht bestätigt wurde. Die Beklagte legte Revision ein, und der Fall wurde ausgesetzt, um den Europäischen Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zu bitten. Dieser entschied schließlich über das Vorabentscheidungsersuchen.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass der Kläger zunächst ordnungsgemäß zum Datenschutzbeauftragten bestellt wurde, die Beklagte diese  Bestellung jedoch wirksam widerrufen habe. Der Widerruf basiere auf einem wichtigen Grund gemäß § 4f Abs. 3 Satz 4 BDSG aF in Verbindung mit § 626 Abs. 1 BGB. Es bestehe ein unauflösbarer Interessenkonflikt, wenn der Datenschutzbeauftragte auch Betriebsratsvorsitzender sei. Dies mache es der Beklagten unzumutbar, den Kläger weiterhin in dieser Funktion einzusetzen.

Dabei betonte das Gericht, dass die Zuverlässigkeit eines Datenschutzbeauftragten durch Interessenkonflikte beeinträchtigt sein könne, dies aber nicht automatisch die Nichtigkeit der Bestellung zur Folge habe. Allerdings könne ein wichtiger Grund für den Widerruf vorliegen, wenn der Datenschutzbeauftragte nicht mehr die erforderliche Fachkunde oder Zuverlässigkeit besitze.

Die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten, sowohl unter dem BDSG aF als auch unter der DSGVO, sei entscheidend, um die Wirksamkeit der Datenschutzbestimmungen zu gewährleisten. Die Pflichten eines Datenschutzbeauftragten würden im Konflikt mit denen eines Betriebsratsvorsitzenden stehen, da der Betriebsrat über die Verarbeitung personenbezogener Daten entscheide und diesen nach außen vertrete. Der Betriebsrat könne personenbezogene Daten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erhalten und verarbeiten, insbesondere im Rahmen seiner Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte gemäß dem Betriebsverfassungsgesetz. Ein Datenschutzbeauftragter könne aber auch für die Überprüfung der Datenschutzkonformität bei der Übermittlung von Mitarbeiterdaten an den Betriebsrat zuständig sein. Zudem könne die Kontrollbefugnis auch die Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen bei Betriebsvereinbarungen umfassen. Insoweit bestehe ein unüberwindbarer Interessenkonflikt. Ein Interessenkonflikt zwischen den Aufgaben des Betriebsratsvorsitzenden und des Datenschutzbeauftragten gefährde die erforderliche Unabhängigkeit und rechtfertige daher den Widerruf der Bestellung zum Datenschutzbeauftragten.

Was bedeutet die Entscheidung für die Praxis?

Mit dieser Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung angepasst. Inwieweit die Entscheidung auch auf andere Bereiche übertragen werden kann, wird die Zukunft zeigen. Arbeitgebende sollten nunmehr potenzielle Interessenkonflikte sorgfältig prüfen, um die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten gewährleisten zu können. In jedem Fall sollte bei einer bereits bestehenden Bestellung des Amtes des Datenschutzbeauftragten an Betriebsratsvorsitzende über einen möglichen Widerruf dieser Bestellung nachgedacht werden.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 06.06.2023 – 9 AZR 383/19 –, juris

Bei Fragen und Beratungsbedarf zu diesem Thema stehen wir Ihnen sehr gerne zur Verfügung!