BAG: Arbeit auf Abruf – Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit  

BAG, Urteil vom 18. Oktober 2023 – 5 AZR 22/23

„Arbeit auf Abruf“ ist ein Arbeitszeitmodell, bei dem die Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall erbracht wird, ohne im Voraus die genaue Dauer oder den Zeitpunkt festzulegen. Diese Flexibilität bringt sowohl für Arbeitgebende als auch Arbeitnehmer*innen Vor- und Nachteile mit sich. Dabei wirft die rechtliche Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen im Kontext von Abrufarbeit eine Vielzahl von Fragen auf. Mit einer dieser Fragen hat sich das Bundesarbeitsgericht in seiner aktuellen Entscheidung beschäftigt.

Sachverhalt

Die Klägerin war langjährig, seit Juli 2009 bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis basierte auf einem Vertrag, der sie als Mitarbeiterin auf Abruf einstellte, ohne eine feste wöchentliche oder monatliche Arbeitszeit festzulegen. Stattdessen wurde die Arbeitsleistung nach Bedarf abgerufen, wobei die Beklagte die Arbeitszeit mindestens vier Tage im Voraus ankündigte. Unter bestimmten Umständen war die Klägerin auch ohne vorherige Ankündigung zur Arbeit verpflichtet.

In den Jahren 2017 bis 2019 war die Klägerin je nach Bedarf tätig und arbeitete auch samstags. Ab dem Jahr 2020 endete jedoch die Samstagsarbeit, was zu einer Verringerung der Arbeitsanfragen und somit der Arbeitsstunden für die Klägerin führte.

Die Klägerin hat Klage eingereicht, um Vergütung für nicht abgerufene Stunden geltend zu machen. Sie war der Ansicht, dass die durchschnittliche monatliche Arbeitszeit von 103,2 Stunden in den Jahren 2017 bis 2019 als vertraglich vereinbarte Arbeitszeit anzusehen sei. Somit verlangte sie für die Monate, in denen sie weniger als diese Stunden arbeitete, die Zahlung entsprechender Differenzvergütungen.

Das Arbeitsgericht gab der Klage teilweise statt, wies die Klage im Übrigen jedoch ab.  Die Klägerin legte gegen das Urteil Berufung ein, die jedoch vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen wurde. Die Klägerin legte daraufhin Revision ein.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Klägerin ab. Vereinbaren Arbeitgebende und Arbeitnehmer*innen, dass Arbeitnehmer*innen ihre Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen haben (Arbeit auf Abruf), müssten sie nach § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG arbeitsvertraglich eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit festlegen. Die Vereinbarung einer Mindestarbeitszeit solle verhindern, dass Arbeitgebende den Arbeitnehmer*innen während des bestehenden Arbeitsverhältnisses überhaupt nicht zur Arbeitsleistung heranziehen. Doch führe die fehlende Festlegung einer bestimmten Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht zur Unwirksamkeit der Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf. Vielmehr gelte nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG seit dem 1. Januar 2019 eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart.

Eine über die Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG hinausgehende Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit ergebe sich im Streitfall nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung. Bei einer Arbeit auf Abruf komme eine Festlegung der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur dann in Betracht, wenn die Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG, die gerade die durch den Verstoß der Arbeitsvertragsparteien gegen § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG entstandene Regelungslücke schließen solle, im betreffenden Arbeitsverhältnis keine sachgerechte Regelung sei und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass Arbeitgebende und Arbeitnehmer*innen bei Vertragsschluss bei Kenntnis der Regelungslücke eine andere Bestimmung getroffen und eine höhere oder niedrigere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbart hätten. Im vorliegenden Fall gäbe es dafür jedoch keine Anhaltspunkte.

Was bedeutet die Entscheidung für die Praxis?

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat weitreichende Auswirkungen auf die Arbeitspraxis und die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmer*innen im Kontext von Abrufarbeitsverhältnissen. Durch sie wird die Sicherheit und Transparenz für Arbeitnehmer*innen gestärkt, indem sie klarstellt, dass bei fehlender anderweitiger Vereinbarung eine 20-stündige Wochenarbeitszeit als vereinbart gibt und damit eine verlässliche Grundlage für die Arbeitszeit schafft.

Arbeitgebenden wird durch diese Entscheidung eine Grenze bezüglich der Flexibilität in Abrufarbeitsverhältnissen gesetzt. In Zukunft wird es von Bedeutung sein, transparente  Arbeitszeitvereinbarungen zu treffen. Arbeitgebende müssen sich bewusst machen, dass Flexibilität nicht auf Kosten der Arbeitnehmerrechte realisiert werden darf und unklare Vereinbarungen zu rechtlichen Auseinandersetzungen führen können.

Quelle: BAG, Urteil vom 18. Oktober 2023 – 5 AZR 22/23 –, juris

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