BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20
Der EuGH hatte im Rahmen einer Vorabentscheidung am 22. September 2022 (Urteil vom 22.09.2022, C-120/21) entschieden, dass der Zweck von Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, in der Fallkonstellation um Urlaubsansprüche hinter das Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurücktrete, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen. Diese Vorgabe des EuGH hat das BAG nunmehr in seiner aktuellen Entscheidung umgesetzt.
Sachverhalt
Die Klägerin war vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte hatte der Klägerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnis zur Abgeltung von 14 Resturlaubstagen einen Betrag in Höhe von 3.201,38 Euro brutto bezahlt. Allerdings begehrte die Klägerin auch die Abgeltung von insgesamt 101 Arbeitstagen aus den Vorjahren. Einer solchen Forderung kam die Beklagte nicht nach. Das Arbeitsgericht hatte die Forderung der Klägerin zunächst abgelehnt, im Berufungsverfahren wurden der Klägerin jedoch vom Landesarbeitsgericht eine Zahlung in Höhe vom 17.376,64 Euro zur Abgeltung weiterer 76 Urlaubstage zugesprochen. Die Beklagte hatte daraufhin die Revision erhoben. Sie war der Ansicht die geltend gemachten Urlaubsansprüche seien verjährt.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Grundsätzlich finden die Vorschriften der Verjährung (§§ 214 Abs. 1, 194 Abs. 2 BGB) zwar auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung, die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht zwangsläufig mit dem Ende des Urlaubsjahres. Die Verjährungsfrist beginnt erst mit Ende des Urlaubsjahres in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch sowie die Verfallfristen belehrt hat und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Der Arbeitgeber könne nicht die Verjährung unter dem Vorwand der Gewährung der Rechtssicherheit entgegenhalten, um sein eigenes Versäumnis, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben, auszugleichen. Vielmehr könne der Arbeitgeber die Rechtssicherheit selbst gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole.
Die Beklagte hatte die Klägerin nicht durch Erfüllung der Aufforderung- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Aus diesem Grund sind die Ansprüche weder am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraum verfallen. Der Urlaubsanspruch war auch noch nicht verjährt. Vielmehr hatte die Klägerin ihren Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist erhoben.
Was bedeutet die Entscheidung für die Praxis?
Grundsätzlich gilt nach § 199 Abs. 1 BGB, dass die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Bei Urlaubsansprüchen kann diese Regelung in Zukunft nicht mehr einfach angewandt werden. Vielmehr kommt es auf den Zeitpunkt der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten an.
Während Arbeitnehmer die Entscheidung begrüßen dürften, heißt es für Arbeitgeber die Wichtigkeit der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten auch in Bezug auf die Verjährung von Urlaubsansprüchen zu erkennen. Arbeitgeber sollten daher in jedem Fall darauf achten, dass sie ihren Mitwirkungsobliegenheiten ordnungsgemäß und rechtzeitig nachkommen.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 48/22 des Bundesarbeitsgerichts vom 20.12.2022